- Friedensnobelpreis 1925: Joseph Austen Chamberlain — Charles Gates Dawes
- Friedensnobelpreis 1925: Joseph Austen Chamberlain — Charles Gates DawesChamberlain wurde geehrt für seine Mitwirkung an den Locarno-Verträgen, Dawes für den nach ihm benannten Plan zur Regelung der deutschen Kriegsschulden.BiografienJoseph Austen Chamberlain, * Birmingham 16. 10. 1863, ✝ London 16. 3. 1937; seit 1892 Mitglied des Unterhauses, 1903-05 Schatzkanzler, 1915-17 Staatssekretär für Indien, 1918-19 Schatzkanzler, 1924 -29 Außenminister.Charles Gates Dawes, * Marietta (Ohio) 27. 8. 1865, ✝ Evanston (Illinois) 23. 4. 1951; 1921-22 Leiter des Budgetbüros in Washington, 1925-29 Vizepräsident der USA, 1929-32 Botschafter in London.Würdigung der preisgekrönten LeistungMit der Verleihung des Friedensnobelpreises von 1925 reagierte das Preiskomitee auf aktuelle politische Ereignisse. Gewürdigt wurden die Leistungen zweier Persönlichkeiten, die entscheidend zur Wiederherstellung einer stabilen Nachkriegsordnung in Europa beigetragen hatten.Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs hatten die Siegermächte im Vertrag von Versailles (1919) Deutschland die Alleinschuld am Krieg gegeben. Daraus wurde der Anspruch abgeleitet, dass die Deutschen für sämtliche Kriegsschäden der Sieger aufzukommen hätten. Die Frage dieser so genannten Reparationen war in den folgenden Jahren Thema mehrerer internationaler Konferenzen. 1921 wurden die Forderungen auf eine Summe von 123 Milliarden Goldmark festgesetzt. Sie überstiegen die wirtschaftlichen Möglichkeiten Deutschlands bei weitem, und im Deutschen Reich kam es zu einer bedrohlichen Inflation. Als die vereinbarten Zahlungen ausblieben, besetzten Franzosen und Belgier im Januar 1923 das Ruhrgebiet. Die Deutschen antworteten mit passivem Widerstand. Diesen konnte man bis zum September durchhalten, dann wurden die Reparationszahlungen wieder aufgenommen.Einsicht der SiegermächteIn dieser Situation wuchs bei den europäischen Mächten die Einsicht, dass mit einem zahlungsunfähigen Deutschland niemandem gedient war. Entscheidend war freilich das durchaus nicht uneigennützige Eingreifen der USA. Die expandierende amerikanische Wirtschaft hatte ein starkes Interesse an einem funktionierenden europäischen Markt. So wurde eine unabhängige Expertenkommission gebildet mit dem Auftrag, die Reparationen neu zu regeln. Ihren Vorsitz übernahm der amerikanische Geschäftsmann Charles Dawes. Im Hauptberuf Bankier, hatte es Dawes im Ersten Weltkrieg bis zum Brigadegeneral gebracht und war aufgrund seiner Fähigkeiten als Finanzexperte 1921 von der US-Regierung mit der Leitung eines neu geschaffenen Budgetbüros in Washington betraut worden. Unter der Leitung von Dawes entwarf das internationale Gremium einen Plan, der sich streng an finanzpolitische Vorgaben hielt und an den wirtschaftlichen Möglichkeiten Deutschlands orientierte. Kernpunkt des Plans war eine vorübergehende Senkung der deutschen Reparationen bei gleichzeitiger finanzieller Unterstützung seitens des Auslands. So sollte Deutschland im ersten Jahr eine Milliarde Goldmark zahlen, wobei 800 Millionen durch eine Auslandsanleihe aufgebracht werden sollten. Für die folgenden Jahre sah der Plan ein der erwarteten Gesundung der deutschen Wirtschaft entsprechendes langsames Ansteigen der Reparationszahlungen vor. Als Sicherheit sollten die Siegermächte die Kontrolle über Steuern, Zölle und die Erträge der Eisenbahn und der deutschen Industriekonzerne erhalten.Der von Dawes und seinen Experten erarbeitete Plan fand sowohl die Zustimmung der Siegermächte als auch die des deutschen Parlaments. 1925 räumten Belgier und Franzosen das Ruhrgebiet. Die finanziellen Grundlagen für eine politische Entspannung im Nachkriegseuropa waren gelegt, auch wenn die Frage der deutschen Reparationen ein Dauerthema der Politik blieb und 1929 ein neuer Plan in Kraft trat. Für Charles Dawes aber war der von ihm entwickelte, in seiner Heimat begeistert aufgenommene Plan das Sprungbrett für eine politische Karriere als Vizepräsident der Vereinigten Staaten und als US-Botschafter in London.Zu den Experten, die den Dawes-Plan ausgearbeitet hatten, gehörte auch Joseph Chamberlain, der zweite Friedensnobelpreisträger des Jahres 1925. Noch größere Verdienste erwarb sich der Brite allerdings im Rahmen der Bestrebungen, die außenpolitischen Grundlagen für stabile Verhältnisse in Europa herzustellen. Im Gegensatz zu Dawes war Chamberlain Berufspolitiker. Schon als 29-Jähriger war er Mitglied des britischen Unterhauses geworden. In der Folgezeit bekleidete er zunächst für die Unionisten und dann für die Konservativen verschiedene Regierungsämter. 1924 wurde er Außenminister. In dieser Eigenschaft kam ihm die Aufgabe zu, von britischer Seite her die zu jener Zeit einsetzenden Bemühungen der europäischen Mächte und Amerikas zu unterstützen, das seit dem Ende des Ersten Weltkriegs weitgehend isolierte Deutschland wieder in die internationale Gemeinschaft zu integrieren. Zu diesem Zweck war vor allem der Widerstand Frankreichs zu überwinden, dessen Misstrauen gegenüber dem Nachbarn im Osten erheblich war.Die Locarno-VerträgeAm 5. Oktober 1925 begann in Locarno am Lago Maggiore im schweizerischen Tessin eine große internationale Konferenz. Ihr Zustandekommen verdankte sie dem Engagement des deutschen Außenministers Gustav Stresemann und des französischen Ministerpräsidenten Aristide Briand (beide Nobelpreisträger 1926). Wesentlich war aber auch das diplomatische Wirken Chamberlains, der im Vorfeld und bei den Verhandlungen in Locarno selbst eine wichtige Rolle spielte. Am Ende einigten sich die Staatsmänner auf ein umfassendes Vertragswerk. Deutschland auf der einen und Frankreich und Belgien auf der anderen Seite sicherten sich den Bestand ihrer Grenzen zu. Damit verzichtete Deutschland endgültig auf das alte Streitobjekt Elsass-Lothringen. Für diesen Grenzvertrag übernahmen England und Italien eine Garantie. Ergänzt wurde der Garantiepakt durch Schiedsverträge Deutschlands mit Frankreich, Belgien, Polen und der Tschechoslowakei. Allgemein wurde beschlossen, Konflikte künftig mit friedlichen Mitteln zu beenden.Die Verträge von Locarno stellten einen Meilenstein auf dem Weg zu einem Europa in Frieden dar. Dieser Frieden schien für lange Zeit gesichert, als Deutschland im September 1926 in den Völkerbund aufgenommen wurde. Charles Dawes zog sich 1932 aus der Politik zurück und widmete sich künftig seinen eigenen Finanzgeschäften. 1933 kamen in Deutschland die Nationalsozialisten an die Macht. Im März 1936 ließ Hitler Truppen in das entmilitarisierte Rheinland einmarschieren. Dies war die erste schwere Verletzung der Locarno-Verträge. Im März 1937 starb Joseph Chamberlain. Zwei Monate später wurde sein Halbbruder Neville britischer Premierminister. Er wurde zum Hauptvertreter der so genannten »Appeasement«-Politik, jener Politik, die darauf abzielte, Hitlers Imperialismus durch Zugeständnisse einzudämmen. Tatsächlich aber bewirkte dies das Ende von Locarno. Der Offenbarungseid wurde 1938 auf der Münchner Konferenz geleistet, als Neville Chamberlain und die Vertreter Frankreichs und Englands dem Diktator den Zugriff auf die Tschechoslowakei erlaubten. In London verkündete Chamberlain, dieses Abkommen bedeute »Frieden in unserer Zeit«. Ein Jahr später begann der Zweite Weltkrieg.H. Sonnabend
Universal-Lexikon. 2012.